The Times of India: Fatwa cannot be forced upon people, Supreme Court rules
Der oberste Gerichtshof in Indien nimmt sich in einem Urteil einem Problem an, das im Moment vor allem in Südasien virulent ist und das ich hier bereits mehrfach besprochen habe. Es geht um das Verhältnis von staatlichem zu religiösem islamischen Recht und eine etwaige Bindungswirkung von Fatwas.
Dabei ist jedenfalls für Indien zu beachten, dass in einigen Bereichen ein gespaltenes Recht gilt, das an die Religionszugehörigkeit der Person anknüpft. Das ist insbesondere im Familien- und Erbrecht der Fall. Unter diesen Voraussetzungen sind die erwähnten Scharia-Gerichte zuständig. Diese sprechen die Parteien bindende Urteile aus. Insofern billigt der Gerichtshof ihnen offensichtlich einen Ermessensspielraum im Rahmen ihrer Zuständigkeit im islamischen Recht zu.
Fatwas, also islamische Rechtsgutachten, haben, wie der Gerichtshof richtig erkennt, diese Bindungswirkung nicht. Deshalb sind sie auch nicht vollstreckbar. Sie werden von den Menschen freiwillig befolgt. Als Vergleich dazu wird die von einem Hindu Priester ausgesprochene Einladung zu einer religiösen Feier herangezogen, der man auch nicht nachkommen müsse. Ob dieser Vergleich wirklich stimmig ist, ist fraglich, denn die Antwort auf eine den konkreten Fragesteller betreffende Frage hat eine andere Qualität, als eine Einladung an eine Vielzahl von Personen.
Allerdings haben der Staat und seine Gerichte die Pflicht Menschen vor Rechtsverletzungen zu schützen, die aus Fatwas hervorgehen. Der Gerichtshof hält Fatwas somit grundsätzlich für erlaubt.
Schlagworte: staatliches Recht, islamisches Recht, Urteil, Gutachten, Bindungswirkung, Vollstreckbarkeit, Oberster Gerichtshof, Indien
Khaleej Times: One-way trip to Mars prohibited in Islam
Anhand eines etwas außergewöhnlichen Themas erläutert diese Fatwa grundlegende Ansichten des Islam zum Leben. Mit Sure 4, 29 wird der zentrale Vers zitiert, der Selbstmord verbietet. Mit Sure 19, 93 wird die Allmacht Gottes bekräftigt und dass man sich ihm auch auf dem Mars nicht entziehen kann.
Die Fatwa wird durch Aussagen weiterer Theologen gestützt, die Selbstmord für verboten halten. Das entspricht der klassischen Meinung im islamischen Recht. Dabei ist keineswegs ausgemacht, dass das Leben auf dem Mars so tödlich ist, wie es die Muftis annehmen. Der Schutz des menschlichen Lebens wird also sehr hochgehalten. Die Fatwa konnte ich leider bislang nicht auf der Website der General Authority of Islamic Affairs & Endowments, United Arab Emirates finden.
Implizit wird durch die Fatwa daher auch mitgeteilt, dass Selbstmordattentate nach der klassischen Meinung im islamischen Recht verboten sind. Abgesehen von der Legende der Assassinen handelt es sich bei Selbstmordattentaten um ein modernes Phänomen.
Schlagworte: Mars, Schöpfung, Leben, Allmacht, Selbstmord
Badische Zeitung: Eine Fatwa ist nicht unbedingt ein Todesurteil
Shafii Fiqh.com: Annulling a Marriage Because of an HIV Infection
Diese sehr interessante Fatwa beschäftigt sich mit der Frage, ob AIDS bzw. HIV zu den Scheidungsgründen nach dem schafiitischen Recht zählt. Die vier klassischen sunnitischen Rechtsschulen sehen unterschiedliche Kataloge an Scheidungsgründen vor. Das ist vor allem für die Frau bedeutsam, da dem Mann ohnehin die Scheidung durch einseitige Erklärung offen steht. Dieser Fatwa-Online-Dienst folgt der insbesondere im Internet selten vertretenen schafiitischen Rechtsschule. Im zweiten Satz leuchtet etwas von der Verfahrensweise der Dienste durch. Die Fragen werden über das Internet oft auf Englisch eingesammelt. In diesem Fall wird sie auf Arabisch übersetzt und einem lokalen Mufti im Jemen vorgelegt. Die Antwort wird wieder auf Englisch übersetzt. Fragesteller, Mufti und der Fatwa-Online-Dienst sind somit weltweit verteilt.
Die klassischen Scheidungsgründe nach dem schafiitischen Recht sind Geisteskrankheit. Lepra und Geschlechtskrankheiten. Zunächst wird ein Bericht Muhammads dazu herangezogen, wonach er eine Frau zu Ihrer Sippe zurück schickte, nachdem ein Scheidungsgrund sichtbar wurde. Jedenfalls wenn die Ehe vollzogen wurde, behält die Frau die Brautgabe.
Der Katalog der koranischen Scheidungsgründe ist abschließend. Sogar eine leichtere Form der Lepra (Bahq) wird ausgeschlossen.
Die Schafiiten erweitern diesen Katalog allerdings sodann, indem sie die im Koran aufgezählten Krankheiten auf allgemeine Gründe zurückführen. Dazu zählen insbesondere die Beeinträchtigung der ehelichen Freuden und die Ansteckungsgefahr. Nach einer komplizierten Argumentation, dass alles auf Gott zurückzuführen sei, wird AIDS konkret mit Lepra verglichen. Danach ist AIDS in den Gründen mit Lepra vergleichbar und stellt einen Scheidungsgrund dar. Das gilt allerdings nicht für die noch nicht ausgebrochene Immunschwäche, also HIV. In diesem Fall kann der Vormund lediglich eine Heirat untersagen. Einen Scheidungsgrund stellt sie nicht dar.
Schlagworte: Familienrecht, Scheidung, Grund, Geisteskrankheit, Lepra, Geschlechtskrankheit, AIDS, HIV, Brautgabe, Vormund, Schafiiten
Abul Hasanaat Islamic Research Center: Triple Talaq after Khula
Diese Fatwa befasst sich mit den unterschiedlichen Wirkungen einer von der Ehefrau beantragten Scheidung (Khula). Bei dieser Form der Scheidung verzichtet die Frau auf ihre Rechte (u. a. die Brautgabe). Nach der überwiegend vertretenen Meinung muss ferner der Mann zustimmen. Schließlich findet bei dieser Scheidung ein förmliches Gerichtsverfahren statt.
Der Ehemann kannte diese Scheidungsart nicht und gibt an, dass er seine Einwilligung irrtümlich erteilt hat. Diese Frage erörtert der Mufti leider nicht. Man muss also annehmen, dass er den Irrtum für unbeachtlich hält.
Interessant ist allerdings auch, dass der Richter den Mann veranlasst hat nach dem Scheidungsspruch noch eine einseitige Scheidung (Talaq) zu erklären. Der Mufti macht nun die Wirkungen der einseitigen Scheidung davon abhängig, ob sie im Scheidungsurteil erwähnt ist. Das ist angesichts dessen, dass die einseitige Scheidung regelmäßig allein durch ihr Aussprechen Wirkung entfaltet, überraschend.
Gerade um das unbedachte Aussprechen einer Scheidung durch den Mann zu verhindern, sieht das islamische Recht vor, dass nach einer einseitigen Scheidung durch den Mann das Paar nicht unmittelbar wieder heiraten darf. Eine Wiederheirat ist erst dann möglich, wenn die Frau eine andere Ehe geschlossen hat und diese beendet ist. Diese Wirkung soll in diesem Fall nur eintreten, wenn die einseitige Scheidung im Urteil erwähnt ist.
Im Hinblick darauf, dass durch diese Regel unbedachte Scheidungen verhindert werden sollen, wäre es stringenter gewesen davon auszugehen, dass die zeitlich vorher liegende von der Frau beantragte Scheidung eine nachfolgende einseitige Scheidung durch den Mann ausschließt. Einfacher ausgedrückt: Wer schon geschieden ist, kann sich nicht mehr scheiden.
Der Fatwa-Online-Dienst selbst ist außergewöhnlich. Er wird von einem indischen Zweig des Naqschbandi Ordens betrieben. Es handelt sich um einen der größten islamischen Orden. Diese sind eher theologisch spirituell orientiert. Die Beschäftigung mit dem islamischen Recht gehört nicht zu ihrem Kernbereich. Andererseits sind Theologie und Recht im Islam sehr eng miteinander verwoben, was eine Beschäftigung mit dem Recht nahe legt.
Schlagworte: Familienrecht, Scheidung, Brautgabe, Zustimmung, Gerichtsverfahren, Irrtum, Naqschbandi