Ma'an News Agency: Fatwa council approves artificial insemination for prisoners' wives
Die palästinensische Nachrichtenagentur Ma'an berichtet über eine in vielerlei Hinsicht interessante Fatwa. Es geht um den Kinderwunsch palästinensischer Häftlinge in israelischen Gefängnissen.
Der palästinensiche hohe Fatwarat erlaubt dazu in der angeführten Fatwa die künstliche Befruchtung mit aus der Haft geschmuggeltem Sperma. Nahezu alle der zwölf Bedingungen dafür lassen sich der Meldung entnehmen. Die erste bedeutsame Voraussetzung ist, dass beide Ehegatten der künstlichen Befruchtung zustimmen. Überraschend ist, dass mehrere nahe Verwandte den Vorgang der künstlichen Befruchtung bezeugen müssen. Eine weitere Bedingung ist, dass die Ehe konsumiert sein muss, was an das islamische Familienrecht anknüpft.
Ferner wird in mehrerer Hinsicht an das Konzept der Notwendigkeit (Darura/Haja) angeknüpft. So muss sie die einzige Möglichkeit zu einer Schwangerschaft sein. Es muss das erste Kind des Häftlings sein und er muss eine lange Haftstrafe verbüßen, die es ihm unmöglich macht danach Kinder zu zeugen.
Schließlich muss die Befruchtung verschiedene medizinische Bedingungen erfüllen. Nach Möglichkeit soll eine Ärztin die Mutter behandeln. Das knüpft an die islamischen Regeln zur Geschlechtertrennung an.
Bei all diesen Regelungen bleibt für mich aber eine Frage offen: Wie wird gewährleistet, dass es sich um das richtige Sperma handelt und keine Verwechselungen auftreten?
Schlagworte: Familienrecht, künstliche Befruchtung, Haftstrafe, Ehe, Einwilligung, Zeugen, Notwendigkeit, Israel, Palästina
Independent Online: Apostates fatwa sparks controversy
Wieder einmal besteht Anlass sich mit einer Fatwa über Apostasie zu beschäftigen. Die Debatte deutet auf eine zumindest teilweise ungeklärte Stellung des Rates der Religionsgelehrten hin. Ebenso ungeklärt ist das Zusammenwirken dieses Rates mit anderen Regierungsstellen. Aus der Äußerung des angeführten Regierungsbeamten muss man entnehmen, dass nicht jeder die Befugnis hat eine Fatwa zu erfragen. Das mutet kurios an, da nach dem klassischen islamischen Recht gerade jeder eine Fatwa nachsuchen kann, auch Nichtmuslime. Lediglich Letzteres wird durch manche Fatwa-Online-Dienste eingeschränkt.
Inhaltlich steht das islamische Recht in Form der Fatwa nach dieser Meldung im Widerspruch zum staatlichen marokkanischen Recht. Gefängnisstrafen kennt das klassische islamische Recht nicht.
Schlagworte: Strafrecht, Apostasie, Todesstrafe, Haftstrafe, Fragesteller, Rat der Religionsgelehrten, Marokko
AllAfrica: Tunisia: Grand Mufti Denounces Radical Fatwas
Heute greife ich eine Äußerung des tunesischen Staatsmuftis auf, die ein Problem beleuchtet, das auch in anderen islamischen Staaten virulent ist. Es handelt sich um die oft schlechte Qualität von Fatwas, die von lokalen Imamen oder anderen Dorfgelehrten erteilt werden. Teilweise werden von diesen auch radikalere Meinungen vertreten, die mit den islamischen Lehren nur schwer oder gar nicht vereinbar sind. Mit der "wahhabitischen Infiltration" wird eine Einflussnahme Saudi-Arabiens angedeutet.
Der Staatsmufti schlägt zur Lösung eine Fernsehsendung vor. Aus der Meldung kann man herauslesen, dass in dieser Sendung wohl er und andere anerkannte Gelehrte auf z. B. telefonische Anfrage hin, Fatwas erteilen sollen. Das ist in der Tat geeignet der Bevölkerung schnell qualitative islamrechtliche Stellungnahmen zu vermitteln.
Der Vorschlag einer besseren Ausbildung von islamischen Gelehrten und Geistlichen ist sicher sehr gut, allerdings zeigt er frühestens nach dem ersten Ausbildungszyklus Wirkung. Dass Fatwas nach dem Arabischen Frühling an Bedeutung verloren haben sollen, kann ich ebenso nicht nachvollziehen. Ich habe wiederholt den Eindruck, dass jedenfalls die Bedeutung von Staatsmuftis in der arabischen Welt nach den Revolutionen gestiegen ist. Hier mag es allerdings einen Unterschied im Blick von Innen und von Außen geben.
Schlagworte: Staatsmufti, Fernsehsendung, Imam, Ausbildung, Arabischer Frühling, Salafiten, Malikiten, Tunesien
Dass Fatwas das Mittel der Fortbildung islamischen Rechts sind, zeigen die immer neuen Fragestellungen. Besonders bei neuen Technologien wird das deutlich sichtbar, hier am Beispiel von Facebook.
Der Mufti stellt zunächst klar, dass die Nutzung von Facebook nicht grundsätzlich verboten (haram) ist. Ohne es zu spezifizieren, werden allerdings bestimmte Nutzungen verboten. Man kann hier an Geschlechterbeziehungen und eventuell ein Bilderverbot denken. Im zweiten Absatz deutet der Mufti an, dass die Nutzung von Facebook missbilligt (makruh) sein kann. Auch das wird allerdings nicht genau ausgeführt. Er führt lediglich an, dass bei einem spezifischen Bedarf (Haja) die Nutzung von Facebook erlaubt ist. Es handelt sich hier um eine eher restriktive Haltung (vgl. Matthias Brückner: Fatwas zum Alkohol unter dem Einfluss neuer Medien im 20. Jhdt., Würzburg 2001, S. 60).
Dass der zweite Absatz undeutlich bleibt, liegt möglicherweise daran, dass der Mufti im dritten Absatz islamischen Gelehrten die Nutzung von Facebook erlauben will. Das könnte sich wiederrum am sehr starken Gleichheitsgedanken im Islam stoßen.
Schlagworte: Internet, Soziale Netzwerke, Bedarf, Gelehrte, Hanafiten
Wie schwierig einfache allgemein genutzte Dienstleistungen für Muslime werden können, zeigt diese Fatwa am Beispiel der Pannenhilfe. Das Modell einer Versicherung scheitert nach der Antwort am Element der Unsicherheit (Gharar). Dem Fragesteller nutzt auch nicht, dass er den dringenden Bedarf für seine Familie darlegt, was die Anwendung des Konzeptes der Notwendigkeit (Darura/Haja) nahe legt.
Die Alternative, die die Antwort anreißt, bleibt unklar. Denken könnte man an eine genossenschaftliche Organisation, so wie es bei Versicherungen gemäß den Grundsätzen der Islamic Finance häufig praktiziert wird.
Schlagworte: Islamic Finance, Versicherung, Unsicherheit, Pannenhilfe, Wahhabiten