Die aktuelle Fatwa: Juli 2022
31.07.2022
AboutIslam: Abortion for Mother’s Health Problems: Justified?
Der Fragesteller möchte wissen, ob seine Ehefrau, die maximal in der dritten Schwangerschaftswoche ist, eine Abtreibung vornehmen lassen kann, weil sie wegen gesundheitlicher Probleme eine weitere Schwangerschaft nicht mehr ertragen könne. Der streng sunnitische Mufti stellt zunächst fest, dass eine Abtreibung grundsätzlich verboten (haram) ist. Er macht aber sogleich eine Ausnahme wegen der Gesundheit der Mutter im Anfangsstadium der Schwangerschaft. Wenn ein Gynäkologe feststellen würde, dass die Schwangerschaft schädlich für die Frau sei, sei die Abtreibung erlaubt.
Danach stellt er den Meinungsstand unter den islamischen Juristen dar. Es herrsche Einigkeit darüber, dass eine Abtreibung nach der 12. Schwangerschaftswoche verboten (haram) sei. Hier nimmt er Bezug auf den Koranvers, in dem vom Einhauchen der Seele die Rede ist. Aber selbst für diese Regel gäbe es eine Ausnahme, nämlich wenn das Leben der Mutter durch die weitere Schwangerschaft in Gefahr sei.
Eine Abtreibung nach den ersten 40 Tagen nach der Empfängnis sei ebenfalls verboten (haram). Hier gibt es aber gleich zwei Ausnahmen. Wenn die Schwangerschaft die Mutter vor untragbare gesundheitliche Probleme stelle, sei eine Abtreibung erlaubt. Das ist dieselbe Formulierung wie vom Fragesteller verwendet. Das bedeutet, dass in diesem Fall die Abtreibung über die ersten 40 Tagen hinaus bis zur 12. Schwangerschaftswoche erlaubt sein müsste. Die zweite Ausnahme, die eine Abtreibung über die ersten 40 Tage hinaus erlaubt mache, sei eine dermaßen schwere Behinderung des Kindes, die ihm ein normales Leben unmöglich mache. Diese Diagnose müsse von zwei verlässlichen Experten in diesem Fachbereich gestellt werden.
Vor den ersten 40 Tagen sei es zwischen den islamischen Rechtsgelehrten umstritten, ob eine Abtreibung erlaubt sei. Das bedeutet im Grunde, dass man hier das weiteste Meinungsspektrum antrifft, nämlich islamische Juristen, die eine Abtreibung von Anfang an für verboten halten und Juristen, die sie (unter Bedingungen) für erlaubt halten.
Etwas überraschend empfiehlt der Mufti nun die Schwangerschaft fortzusetzen, wenn keine medizinische Notwendigkeit vorliege sie abzubrechen. Damit schließt er sich eher strengen Meinungen an.
Schlagworte: Abtreibung, Schwangerschaft, Mutter, Kind, Leben, Gesundheit, Behinderung, medizinische Indikation
24.07.2022
Islamweb: Choosing the Easiest Option when the Fatwa Differs
Dieser Fragesteller möchte wissen, ob ein Muslim bei verschiedenen Antworten mehrerer Muftis die leichteste Möglichkeit auswählen kann. Der streng sunnitische Mufti meint zunächst, dass er dem vertrauenswürdigsten Mufti folgen müsste. Das kann für einen Laien schon schwierig sein, da er die Fachkompetenz eines Muftis nicht ohne Weiteres einschätzen kann.
Für den Fall, dass alle gleich vertrauenswürdig sind, gibt es gleich drei verschiedene Ansichten unter den Muftis (und anderen islamischen Juristen). Nach einer Ansicht kann der Laie frei wählen. Nach den beiden anderen Ansichten solle er die strikteste bzw. die leichteste Rechtsmeinung aussuchen. Man sieht hieran wie weit die Absichten im islamischen Recht auseinander gehen können, denn die letzten beiden Meinungen sind schlicht entgegengesetzt. Als Beleg für die letzte Meinung zitiert der Mufti sodann noch einen Koranvers und erlaubt dem Laien somit der leichtesten Meinung zu folgen.
Schlagworte: Fatwawesen, Mufti, Auswahl, Vertrauenswürdigkeit, schwer, leicht
17.07.2022
Darul Ifta Birmingham: What Is the Ruling on Shia Sunni Marriage?
In dieser Fatwa geht es darum, ob die Heirat zwischen einer Sunnitin und einem Schiiten erlaubt ist. Der Mufti zitiert in seiner Antwort sogleich einen Koranvers, mit dem er belegt, dass es Muslimen verboten sei Götzendiener zu heiraten. Es geht hier also nicht einfach um eine Heiratserlaubnis, sondern es verbirgt sich in der Frage auch die Frage, ob Schiiten Muslime oder Ungläubige sind. Manche sunnitischen Islamisten sehen Schiiten nämlich als Ungläubige an. Hier zählt der Mufti zur streng hanafitischen Richtung der Deobandis.
Weiterhin schiebt der Mufti vor, dass es viele verschiedene schiitische Richtungen gibt, weshalb man sie nicht einheitlich beurteilen könne. Dann versucht er allgemeine Regeln aufzustellen um Schiiten einordnen zu können. Der Schiit dürfe keine Vielgötterei betreiben, müsse glauben, dass Muhammad der letzte Prophet sei und müsse an den Koran glauben. Das ist so allgemein formuliert, dass es durchaus problematisch werden kann, denn zwischen Sunniten und Schiiten gab es früher Streit um den Wortlaut des Korans. Außerdem hegen die Schiiten eine starke Verehrung für ihre jeweilige Imamreihe. Das ist etwas, das man auch als Vielgötterei ansehen kann. Manche Muslime sehen ja auch die christliche Dreifaltigkeit als Vielgötterei an. Diese Problematik wird lediglich durch einen Zusatz in Klammern aufgelöst. Die große Liebe für Ali, dem Cousin und Schwiegersohn Muhammads und ersten schiitischen Imam, sei unschädlich.
Im Ergebnis dürfte das bedeuten, dass eine Heirat mit den meisten Schiiten erlaubt sein dürfte.
Schlagworte: Sunniten, Schiiten, Heirat, Unglaube, Vielgötterei, Koran, Muhammad, Ali, Deobandis
10.07.2022
Hindustan Times: Barelvi Muslims' fatwa on Udaipur killing: Beheading is crime, slogan from Pak
Für gewöhnlich gelten von den beiden großen islamischen Denkschulen auf dem indischen Subkontinent die Barelwis als gemäßigter als die Deobandis, aus denen sich die Taliban speisen. Freilich ist keinesfalls jeder Deobandi ein Taliban, es gibt sogar deutliche Distanzierungen. Wie man an folgendem Vorfall sehen kann, gibt es auch bei den Barelwis eine große Bandbreite.
Es begann damit, dass eine ehemalige Sprecherin der Indischen Volkspartei vor über einem Monat umstrittene Äußerungen zum islamischen Propheten Muhammad und seiner Ehefrau Aischa machte, die bei der Heirat mit ihm sehr jung war. Nun wurde in Indien ein Schneider, der ihre Äußerungen im Internet geteilt hat, von zwei Barelwis, die angeblich von radikalen pakistanischen Predigern beinflusst wurden, enthauptet.
Dagegen haben nun barelwi Gelehrte aus Indien eine Fatwa erlassen, die deutlich macht, dass Selbstjustiz im Islam verboten ist. Jemand, der ohne Erlaubnis des Herrschers eine Person töte, sei ein Verbrecher. Er würde hart bestraft werden. Das gelte auch für nicht-islamische Länder. Diese Regelung ist der Situation in Indien geschuldet, wo die Muslime in der Minderheit sind. Eine mögliche Todesstrafe wird in den in der Presse wiedergegebenen Ausschnitten der Fatwa nicht thematisiert. Das wäre bei einem Verbot einer Tötung durch Selbstjustiz auch nicht passend.
Schlagworte: Selbstjustiz, Blasphemie, Barelwis, Volkspartei, Indien
03.07.2022
The Office of the Supreme Leader: Abandonment of Hajj
Die in den nächsten Tagen anstehende islamische Pilgerfahrt (Hadsch) ist Anlass für eine Fatwa des geistlichen Führers Irans, Großayatollah Khamenei. Dabei ist der eigentliche Kern der Fatwa gar keine religiöse Frage, sondern eine sehr Technische. Der Fragesteller schildert nämlich dass Saudi-Arabien dieses Jahr die Gebühren für die Pilgerfahrt erhöht habe oder eine neue Gebühr eingeführt habe. Er möchte nun wissen, ob er die Pilgerfahrt unter diesen Umständen unterlassen darf.
Zunächst antwortet Khamenei, dass er den neuen Betrag zahlen muss, wenn die Pilgerfahrt in den vorangegangenen Jahren für ihn verpflichtend geworden ist. Dieser Satz ist schon ein bißchen unklar, da die Pilgerfahrt als eine der fünf Säulen für jeden Muslim einmal im Leben verpflichtend ist. Eventuell sind damit Eide gemeint die Pilgerfahrt in diesem Jahr zu vollziehen.
Vielleicht geht es auch einfach um die finanziellen Möglichkeiten, um die sich die Antwort hauptsächlich dreht. Dabei sind die Ausgaben für die Pilgerfahrt zusätzliche Kosten, die erst nachdem der Lebensunterhalt gesichert ist, aufgewendet werden müssen. Und dieser Selbstbehalt richtet sich auch noch nach der gesellschaftlichen Stellung. Reiche dürfen also mehr für den Lebensunterhalt aufwenden bevor sie die Pilgerfahrt vollziehen müssen.
Schließlich müsse jemand, der sich das Geld für die Pilgerfahrt leihen und später leicht zurückzahlen kann, die Pilgerfahrt auch nicht unternehmen. Wenn man aber das Geld konkret leiht, wird die Pilgerfahrt zur Pflicht. Hier wird also ein Unterschied gemacht zwischen der theoretischen Möglichkeit, die noch keine Pflicht auslöst, und der konkreten Umsetzung, die eine Pflicht begründet.
Schlagworte: Pilgerfahrt, Pflicht, Gebühren, Lebensunterhalt, Leihe, Khamenei