Die aktuelle Fatwa: August 2021
22.08.2021
The Sentinel: Taliban Issues Fatwas Concerning Women; Must Paint Window Panes So That No People Can Notice Females
Laut dieser indischen Zeitung haben die Taliban ein paar Fatwas bezüglich Frauen herausgegeben. Fatwas sind Rechtsgutachten, die nicht bindend sind. Durch die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan kann selbstverständlich eine faktische Bindungswirkung eintreten. Das dürfte allerdings noch von weiteren Faktoren abhängig sein, wie beispielsweise dem Rang des erteilenden Geistlichen, der in dem Artikel nicht mitgeteilt wird.
Da die Fatwas nur stichpunktartig wiedergegeben werden, lässt sich auch ihr Inhalt schwer fassen. So sollen Frauen keine hautengen Jeans tragen und nicht alleine das Haus verlassen. Anderenfalls würde harte Bestrafung drohen. Das Verbot hautenge Jeans zu tragen kann zwei Aspekte haben. Sofern es sich auf hauteng bezieht, kann es jedenfalls aus islamistischer Sicht aus islamischen Kleidervorschriften hergeleitet werden. Das Verbot könnte sich aber auch auf Jeans als amerikanisches Produkt beziehen und wäre dann eher politisch motiviert, wobei es dann sicher nicht an einer Herleitung von Amerika als Land des Unglaubens fehlen würde.
Zu den weiteren Fatwas gehört angeblich ein Verbot Fotos von Frauen in den Medien zu veröffentlichen. Das verwundert angesichts erster Bilder einer Fernsehmoderatorin unter der Herrschaft der Taliban. Man wird wohl noch eine Weile abwarten müssen um zu sehen welche Richtung die Taliban tatsächlich einschlagen. Dabei wird zu beachten sein, dass es auch unter den Taliban verschiedene Rechtsmeinungen geben dürfte.
Schlagworte: Taliban, Kleidung, Fotos, Medien, Afghanistan
15.08.2021
The Daily Star: Hilla marriage fatwa: Panchagarh court asks OC to investigate couple’s sufferings
Auch in Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung kann das islamische Recht mit staatlichem Recht kollidieren. So ist es in diesem Fall in Bangladesh. Das Problem nimmt seinen Anfang in der Struktur des islamischen Scheidungsrechts. Dieses räumt dem Ehemann ein leichte Möglichkeit der Scheidung durch dreimalige (mündliche) Erklärung ein. Um die Männer vor allzu leichten Erklärungen abzuschrecken, gibt es ein Verbot unmittelbar danach dieselbe Frau wieder zu heiraten. Eine Heirat ist erst möglich, wenn die Frau einen anderen Mann geheiratet hat und die Ehe vollzogen wurde.
Jedenfalls auf dem indischen Subkontinent tritt nun das Problem auf, dass Muftis oder Dorfräte Fatwas erteilen und versuchen zu vollstrecken, dass die geschiedene Frau nun einen anderen Mann heiratet. In diesem Fall hat die vom Mufti erteilte Fatwa wohl "nur" dazu geführt, dass die Ehegatten nach der dreimal vom Ehemann erklärten Scheidung zwangsweise getrennt wurden. Nachdem die Ehegatten Anzeige erstattet hatten, hat der Dorfrat die erzwungene Trennung aufgehoben. Auch der Dorfrat forderte die Polizei auf zu untersuchen wer die Durchsetzung diese Fatwa erzwungen hat. Darüber hinaus hat das Distriktgericht einen entsprechenden Beschluss gefasst, der die Polizei zur Untersuchung auffordert. In diesem Beschluss hat das Gericht wohl schon die Erteilung und Durchsetzung der Fatwa als schwerwiegendes Verbrechen bezeichnet.
Bemerkenswert ist der deutliche Eingriff nicht nur des Gerichts, sondern auch des Dorfrates schon bei einem vergleichsweise kleinem Eingriff, nämlich lediglich dem Zwang zur Trennung und nicht erst dem Zwang der Frau zur Heirat eines anderen Mannes. Das zeigt zum Einen, dass zumindest in diesem Fall die Judikative und die Exekutive gut funktioniert haben. Zum Anderen deutet es auf einen Eingriff in die Struktur des islamischen Rechts hin. Während man eine Aufhebung einer Fatwa, die die Frau zur Heirat eines anderen Mannes zwingt, mit einer Fehlinterpretation des islamischen Rechts gut begründen kann, deutet der Gerichtsbeschluss an, dass sich das Gericht über die Scheidungserklärung des Ehemannes und damit über das islamische Recht hinwegsetzt. Das ist allerdings auch eine Frage des Sachverhalts. Eine Scheidung kann nämlich nach islamischem Recht auch unwirksam sein, wenn sie im Affekt erklärt wurde und es wurde hier immerhin mitgeteilt, dass der Ehemann die Scheidung im Streit erklärt hatte.
Schlagworte: Familienrecht, Scheidung, Wiederheirat, islamisches Recht, staatliches Recht, Mufti, Dorfrat, Gericht, Polizei, Bangladesh
08.08.2021
Islamweb: Was Raped at an Earlier Age and Is Very Depressed and Suicidal
Einen erschreckenden Sachverhalt berichtet diese Fragestellerin. Ihre 16jährige Cousine sei mit 13 Jahren von ihrem nicht-muslimischen Nachbarn vergewaltigt worden. Danach sei sie sehr depressiv und suizidal geworden. Außerdem nehme sie Medikamente und gehe zum Arzt. Die religiöse Komponente des Problems ist, dass sie nicht mehr betet, da sie die Vergewaltigung mit ihrer kurz zuvor begonnen Praktizierung des Islam in Zusammenhang bringt.
Das Bemerkenswerteste an der Antwort des streng sunnitischen Muftis steht schon im zweiten Satz, nämlich dass sie an einen Psychiater überwiesen werden muss, der ihr heilsamen Rat gibt. Das ist deshalb bemerkenswert, da aus islamischer Sicht solche Probleme häufig auf Geister oder deren Einflüsterungen zurückgeführt werden und ein frommeres Leben empfohlen wird.
Der Mufti vergibt sich durch diese Anerkennung der Psychiatrie keineswegs weitere theologische Ausführungen. So stellt er durchaus zutreffend fest, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen ihrem religiösem Engagement und der Vergewaltigung zu erkennen ist. Es wird in der Tat gerne verkannt, dass nur weil zwei Ereignisse in zeitlicher Nähe zueinander auftreten, deshalb noch kein Zusammenhang zwischen ihnen bestehen muss. Sodann bietet der Mufti andere jedenfalls aus religiöser Sicht nachvollziehbare Möglichkeiten an, nämlich Vorherbestimmung, Versuchung oder dass sie oder ihre Familie schlechte Gesellschaft nicht vermieden hätten.
Letzteres mag psychologisch nicht so geschickt sein, denn wie der Mufti später selbst schreibt, sei es nutzlos über vergangene Ereignisse nachzudenken. Sie sind zu verarbeiten, weshalb der Hinweis auf den Psychiater zutreffend ist. Selbstverständlich folgt auch hier abschließend die Empfehlung zu beten.
Schlagworte: Vergewaltigung, Depression, Selbstmord, Psychiatrie, Medikamente, Gebet, Vorherbestimmung, Versuchung
01.08.2021
Islam - Q & A: Ruling on getting cashback or discount from digital wallets when paying bills through them
In dieser Fatwa geht es um (rein) digitale Geldbörsen, also digitale Vorrichtungen, in denen Geld für die Abwicklung von Internetkäufen gespeichert wird. Problematisch sind insbesondere Rückzahlungen von fünf oder 10 Prozent eines aus der Geldbörse bezahlten Rechnungsbetrages und eine Prämie in Höhe von 50 Geld auf eine Einzahlung von 100 Geld in die Geldbörse.
Erlaubt seien die genannten Rabatte, wenn kein Geld in der Geldbörse sei, was der Mufti selbst für unwahrscheinlich hält. Wenn das Geld gemäß den islamischen Regeln angelegt würde, wäre der Rabatt als Geschenk für das Investment erlaubt. Mit Überlieferungen von Muhammad und von einem seiner Gefährten belegt er, dass Geschenke für Kredite nicht erlaubt seien.
Ferner zitiert er aus einem Buch einer großen islamischen Bank in Saudi-Arabien. Danach sei schon verboten Geschenke nur an Kontoinhaber zu machen. Erlaubt seien allerdings Geschenke an Inhaber von Anlagekonten, da es sich hierbei nicht um Kredite handeln würde. Nach dem vom Fragesteller geschilderten Sachverhalt spricht allerdings viel dafür, dass diese Rabatte nur an Kontoinhaber vergeben werden, da man für die Rabatte Geld auf die Geldbörse transferieren muss oder eine Rechnung davon begleichen muss. Im Hinblick auf diese Zahlungsvorgänge ähnelt die Geldbörse auch eher einem Girokonto als einem Anlagekonto.
Der wahhabitische Mufti sieht das ähnlich, kommt allerdings über die Subsumtion als zinsbasierter Kredit oder als ungültige Partnerschaft zum Ausspruch des Verbots. Denn bei der Partnerschaft müssten Prozente des Gewinns und nicht Prozente des eingezahlten Betrags ausgezahlt werden. Das liegt darin begründet, dass jeder Partner am Risiko seiner Geldanlage teilhaben muss.
Schlagworte: Islamic Finance, digitale Geldbörse, Rabatt, Geschenk, Kredit, Zins, Internethandel, Wahhabiten