Die aktuelle Fatwa: Oktober 2013
31.10.2013
Dar al-Ifta al-misriyya: Can I donate all my body organs after my death to help curing sick people?
Das ägyptische Staatsmuftiamt beginnt nach dem Umbau der Website nun auch aktuelle Fatwas dort zu publizieren. Dazu gehört diese Fatwa, die sich sehr ausführlich mit dem Thema Organtransplantation auseinandersetzt.
Das Thema gibt dem Mufti zunächst Gelegenheit auf die Menschenwürde im Islam einzugehen. Dazu zitiert er mehrere Koranverse. Mit einem Ausspruch Muhammads weist er sodann auf die Pflicht hin nach Heilung für Krankheiten zu suchen.
Sodann geht er auf die allgemeinen Voraussetzungen für eine Organtransplantation ein. Danach ist jegliche Form von Organhandel verboten. Weiterhin muss sie der Heilung des Empfängers dienen und darf den Spender nicht schädigen. Schließlich dürfen nach einem weiteren Ausspruch Muhammads dem Spender bei der Entnahme keine Knochen gebrochen werden, was auch für Tote gilt.
Als weiteres Prinzip wird eingeführt, dass ein lebender Mensch Vorrang vor einem Toten genießt, ebenso wie Sicherheit vor Unsicherheit Vorrang genießt. Letzteres wird mit dem Beispiel untermauert, dass bei Gefahr für eine werdende Mutter und ihren Fötus, die Mutter Vorrang genießt. Nebenbei wird hier ein Schwangerschaftsabbruch gemäß einer medizinischen Indikation erlaubt.
Sodann geht der Mufti auf die Bedingungen einer Transplantation bei einem lebenden Spender ein. Hier kommt wieder einmal das Konzept der Notwendigkeit (Darura) ins Spiel, insofern dass die Transplantation die einzige Möglichkeit sein muss vom Empfänger Schaden abzuwenden. Der Spender muss volljährig und geschäftsfähig sein und die Entscheidung ohne Druck treffen.
Dem Spender darf zwar kein Schaden zugefügt werden. Allerdings sind kleinere Schädigungen erlaubt. Das wird sich auf den zur Entnahme des Organs notwendigen Eingriff beziehen. Gerade deshalb wird er geschäftsfähig sein müssen. Denn er muss über kleinere Schädigungen aufgeklärt werden und darüber entscheiden. Hier spielen die Ärzte eine wichtige Rolle.
Für die Transplantation von einem toten Spender ist der Herztod Voraussetzung. Der Hirntod wird ausdrücklich abgelehnt. Das Kriterium der Notwendigkeit muss auch hier erfüllt sein und auch hier spielen die Ärzte eine wichtige Rolle. Die Entscheidung muss der Spender zu Lebzeiten bei klarem Verstand getroffen haben. Er darf allerdings nicht alle Organe spenden, da das als Verstoß gegen die Menschenwürde angesehen wird. Explizit ausgeschlossen ist auch bei lebenden Spendern das Spenden von Geschlechtsorganen, da es zur Verwirrung der Abstammung führe.
Schließlich wird auf Fatwas vorangegangener Staatsmuftis und anderer Autoritäten verweisen. Erst unter dieser Quellenangabe wird die letzte Frage beantwortet, nämlich dass Muslime und Nicht-Muslime hinsichtlich der Organtransplantation gleich sind. D. h. ein Muslim darf seine Organe auch einem Nicht-Muslim spenden. Im Vergleich zu manch anderen Fatwas, die weitaus banalere Kontakte zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen restriktiv regulieren, wenn nicht gar verbieten, führt das die Fatwa zu einem im Sinne der Menschenwürde würdigen Ergebnis.
Schlagworte: Medizinrecht, Organtransplantation, Menschenwürde, Organhandel, Heilung, Schaden, Notwendigkeit, Herztod, Hirntod, Geschlechtsorgan, Abstammung, Gleichheit, Staatsmuftiamt, Ägypten
24.10.2013
DAWN.com: Couple living in hiding after marriage fatwa
In diesem Fall geht es um das Verhältnis von staatlichem zu religiösem Recht. Ausgangspunkt ist eine Ehenichtigkeitsklage, die vom Ehemann bei einem staatlichen Gericht in Pakistan eingereicht wurde. Die Frau reagierte darauf mit einer Unterhaltsklage. Die Verwandten führten dann eine Mediation mit den Eheleuten durch, die dazu führte, dass die Klagen zurückgenommen wurden.
Offensichtlich andere Verwandte hielten nun einen Dorfrat ab, der zu dem Ergebnis kam, dass das Zusammenleben der Eheleute unislamisch sei. Dazu holten sie eine Fatwa von einer der sufischen Barelwi-Bewegung zuzuordnenden Organisation ein, die ihre Meinung bestätigte. Die Folgerung, dass damit die Rechtsfolge der Steinigung wegen Unzucht eintritt, wurde allerdings wohl erst durch einen weiteren lokalen Geistlichen gezogen. Dieser Geistliche vertritt auch die Meinung, dass die Fatwa(s) vorrangig seien, da das pakistanische Rechtssystem nicht islamisch sei. Das ist aus seiner Sicht nachvollziehbar, allerdings anfechtbar. Als göttliches Recht ist das islamische Recht aus islamischer Sicht vorrangig.
Der pakistanische Staat wird allerdings für sein staatliches Recht in seinen Grenzen den Vorrang beanspruchen. Der Ehemann hat schließlich bei einem staatlichen Gericht eine Gewaltschutzklage eingereicht.
Abgesehen von der Frage welches Recht vorrangig ist, ist auch interessant auf welche Gründe die ursprüngliche Nichtigkeitsklage gestützt wurde. Denn die Voraussetzungen für die Auflösung einer Ehe könnten nach islamischem und nach staatlichem pakistanischen Recht unterschiedlich sein, so dass man auch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt, je nachdem welches Recht man anwendet. Das teilt der Artikel leider nicht mit. Man wird sich aber grundsätzlich fragen müssen, ob die Einreichung einer Ehenichtigkeitsklage bei einem staatlichen Gericht überhaupt Rechtswirkungen im islamischen Recht auslösen kann. Gerade das staatliche Rechtssystem erkennt der lokale Geistliche ja nicht als islamisch an. Demnach könnte es konsequent sein, wenn nicht nur die Rücknahme der Klagen keine Wirkung im islamischen Recht hat, sondern auch die Einreichung der Klagen. Grundsätzlich haben Fatwas schon nach islamischem Recht keine Bindungswirkung.
Schlagworte: Familienrecht, Ehe, Scheidung, staatliches Recht, islamisches Recht, Unzucht, Steinigung, Pakistan
17.10.2013
Libya Herald: Female teachers must cover face says Grand Mufti
Bei dieser Fatwa geht es um die Koedukation. Soweit der libysche Großmufti das Kopftuch (Hijab) fordert, bewegt er sich innerhalb klassischer Lehrmeinungen des islamischen Rechts. Sollte er tatsächlich sogar die Gesichtsverschleierung (Niqab) fordern, so ist das eine sehr strenge Auffassung. Der vom Bildungsministerium dagegen angeführte Grund, dass die Schüler schlechter lernen, wenn sie das Gesicht ihrer Lehrerin nicht sehen, ist nachvollziehbar.
Es wird hier wieder einmal das Problem virulent welche Bedeutung ein in das Staatsgefüge eingebetteter Großmufti hat. Nach meiner Kenntnis ist auch in Libyen das Bildungsministerium rechtlich nicht an die Fatwas des Großmuftis gebunden. Gleichwohl können Fatwas von Staatsmuftis eine erhebliche moralische Bindungswirkung entfalten. Der Artikel legt nahe, dass das Ministerium nicht die Antwort erhalten hat, die es wünschte. Das zeigt somit auch, dass der Großmufti eine gewisse Unabhängigkeit genießt.
Schlagworte: Koedukation, Kopftuch, Gesichtsschleier, Bindungswirkung, Libyen
10.10.2013
Islam - Q & A: Ruling on doing the marriage contract over the phone or Internet
Die Akzeptenz neuer Medien im islamischen Recht, auch nach strengen Lehren, wie hier der Wahhabitischen, ist immer wieder beeindruckend. Diese Fatwa setzt sich mit der Form einer Heirat auseinander. Die Heirat beruht auf zwei übereinstimmenden Willenserklärungen, Angebot und Annahme. Die Willenserklärungen werden nach der hier vertretenen Meinung zwischen dem Vormund der Braut und dem Bräutigam ausgetauscht.
Das muss grundsätzlich in einer Zusammenkunft geschehen. Der Mufti trägt zunächst die verschiedenen Meinungen dazu vor, ob eine Heirat per (Video)Telefonie erlaubt ist. Diese Meinungen unterscheiden sich im Kern in der Frage wie eine mögliche Manipulation der Übertragung eingeordnet wird.
Bei einer Heirat per (Video)Telefonie ist die Gleichzeitigkeit kein Problem. Dass der Mufti allerdings trotz unterschiedlicher geografischer Orte von einem gemeinsamen Ort ausgeht, ist durchaus bemerkenswert. Er erkennt damit letztlich den Cyberspace (virtuellen Raum) als rechtlich relevanten Ort an. Insbesondere mit einer Webcam werden weitere Manipulationsmöglichkeiten ausgeräumt, da sich Vormund, Bräutigam und Trauzeugen sehen können.
Abschließend belegt der Mufti die verschiedenen vorgetragenen Meinungen mit Textnachweisen. Dass gerade Ibn Baz eine solche Heirat erlaubt, ist eine weitere Überraschung.
Schlagworte: Familienrecht, Heirat, Form, Telefon, Internet, Webcam, Ort, Cyberspace, Vormund, Braut, Bräutigam, Trauzeuge, Wahhabiten
03.10.2013
Palestine News Network: PA Fatwa Council Legalizes Online Dating
Diese Meldung wird mittlerweile auch von anderen Nachrichtenagenturen und Zeitungen verbreitet. Die Rechtsauffassung ist allerdings nicht ganz so neu, sondern kann gerade in wahhabitischen Kreisen bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts verfolgt werden (vgl. Matthias Brückner: Fatwas zum Alkohol unter dem Einfluss neuer Medien im 20. Jhdt., Würzburg 2001, S. 60f.). Der Widerspruch ist also nicht so groß, wie behauptet. Außerdem sagt es etwas über die regionale bzw. konfessionelle Rezeption von Fatwas aus.
Die Fatwa führt von außen betrachtet eine eingeleitete Rechtsauffassung fort. Das gilt insbesondere für die Heiratsabsicht und dass sich das Dating in den Grenzen des islamrechtlich Zulässigen zu halten hat. Das Verbot Fotos auszutauschen bleibt zumindest hinter einer mir bekannten Fatwa zurück (vgl. IslamiCity: Marriage: Met in Cyberspace, Can they Exchange Photos?).
Schlagworte: Familienrecht, Partnervermittlung, Internet, Heirat, Foto, Notwendigkeit, Wahhabiten, Oberster Fatwa-Rat, Palästina