Die aktuelle Fatwa: Juli 2025
27.07.2025
Islam - Q & A: Is it permissible to seek fatwas from AI (artificial intelligence)?
Verschiedene Muftis befassen sich weiterhin mit künstlicher Intelligenz (KI), so auch dieser wahhabitische Fatwa-Online-Dienst. Die Fatwa ist ausführlich und zitiert ausführlich aus unterschiedlichsten Quellen. Zu Beginn der Antwort wird beispielsweise eine Definition von KI von einer staatlichen saudischen Agentur zitiert. Danach handele es sich bei KI u. a. um technische Mittel, die Daten sammeln und Vorhersagen machen können.
Der Mufti hält KI für ein Mittel, das in vielen Bereichen nützlich sei. Es sei also erlaubt, sie auf eine Art zu nutzen, die islamischer Lehre nicht widerspreche, denn der Grundsatz sei die Erlaubtheit. Verboten sei u. a. anderen zu schaden oder sie zu betrügen. Es sei auch verboten, eine KI mit falschen Informationen zu versorgen und sie so zu trainieren, dass sie Andere in die Irre führe. KIs würden mit großen Mengen an Informationen unterschiedlicher Genauigkeit trainiert.
Im nächsten Teil wird eine Vielzahl an Qualifikationen eines Muftis aufgezählt. Darunter findet sich, dass er Muslim und erwachsen sein muss, die Scharia und das Leben kennen muss. Insbesondere brauche er Kenntnis der abrogierenden und der abrogierten, der mekkanischen und medinensischen Koranverse und der Gründe ihrer Offenbarung, der Überlieferungen von Muhammad und der arabischen Sprache und Dichtung. Folgerichtig gelangt der Mufti nach dieser sehr umfangreichen Aufzählung zu dem Schluss, dass eine KI nur schwerlich diese Bedingungen erfüllen könne. Jemand müsse mit einer neuen Frage oder einem Sachverhalt, der Beratung erfordere, die Leute des Wissens fragen. Diese Pflicht würde er nicht erfüllen, wenn er jemanden Unqualifizierten frage. Diese Feststellung wird mit einem Koranzitat (Sure 16, 43) untermauert.
KI würde eine Antwort aus dem zusammenstellen, was im Cyberspace sei. Sie würde auf statistische und mathematische Art arbeiten, die durch unterschiedliche Quantität verschiedener Daten beeinflusst werden könne. KI gibt mithin eine Antwort basierend auf Wahrscheinlichkeit. Ein Problem sei, dass man die Quellen der KI nicht kenne. Die Informationen könnten sogar aus nichtislamischen Quellen oder aus abweichenden oder verfälschten Quellen stammen. Ein weiteres Problem könne sein, dass KI Bräuche und Traditionen sowie andere Ausnahmen, wie Notwendigkeit und Bedürfnis, nicht berücksichtige. Sie wäge auch nicht Vor- und Nachteile ab. Schließlich könnten sich Bräuche im Laufe der Zeit verändern.
Weiterhin werden sogenannte KI-Halluzinationen kritisiert, also scheinbar zutreffende Antworten, die tatsächlich von der KI erfunden wurden. Ferner sei möglich, dass diejenigen, die eine KI trainierten, ihr Vorurteile beibrächten.
Gleichwohl könnten Muftis KI zur Vorbereitung von Fatwas benutzen. Sie könnten beispielsweise die von der KI angegebenen Quellen prüfen und so zu den Inhalten gelangen oder sich von der KI Zusammenfassungen von Büchern geben lassen. Auch ein Fragesteller kann sich Quellen geben lassen, insbesondere von Fatwas, und diese dann im Original lesen. Er dürfe sich aber nicht von der KI selbst eine Fatwa erteilen lassen.
Diese Fatwa ist nicht nur ausführlich, sondern auch einigermaßen differenziert. Ferner kann man erkennen, dass sich der Mufti mit einer gewissen Tiefe mit künstlicher Intelligenz auseinandergesetzt hat. So kommt er zu einer durchaus fundierten Kritik an KI im Einsatz für die Erteilung von Fatwas. Die Bezeichnung der KI als Mittel, das grundsätzlich erlaubt sei, erinnert an den Beginn der Nutzung des Internets zur Fatwaerteilung, als das Internet ebenfalls als grundsätzlich erlaubtes Mittel bezeichnet wurde. So wie damals wird man heute schauen müssen, wie sich Technik und islamische Lehrmeinungen zu dieser weiterentwickeln werden. Es bleibt Raum für weitere Fatwas.
Schlagworte: KI, Fatwawesen, Mittel, Informationen, Wahrscheinlichkeit, Quellen, KI-Halluzinationen, Vorurteile, Mufti, Fragesteller, Wahhabiten
20.07.2025
The Arab Weekly: AI fatwas threaten to undermine Egypt’s clerical authority
In Ägypten wird über den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) zur Erteilung von Fatwas diskutiert. Die Debatte entzündete sich daran, dass ein Mann eine KI fragte, ob er sein ganzes Vermögen an seine Töchter vererben dürfe, wenn es keine männlichen Erben gäbe. Die KI antwortete, dass es nach islamischem Recht erlaubt sei.
Die Azhar-Universität und das Staatsmuftiamt hätten Warnungen veröffentlicht, nach denen KI für die Erteilung von Fatwas verboten worden sei. Fatwas würden gelehrtes Wissen, menschlichen Kontext und juristische Genauigkeit erfordern. KI würde zu oberflächlichem Wissen führen. Schlussfolgerungen könnten fehlerhaft sein oder ihnen könnte die religiöse Authentizität fehlen. Fatwas seien das Produkt menschlicher Folgerungen und nicht von Algorithmen.
Demgegenüber wird kritisiert, dass Gelehrten selbst erlaubt werde, live im Fernsehen oder in den sozialen Medien unmittelbar Fatwas ohne lange Überlegung zu erteilen. Die ägyptischen religiösen Institutionen seien zu langsam gewesen, überholte Fatwas zu überprüfen oder sich sinnvoll um religiöse Reform zu kümmern. Religiöse Führung sei inkonsistent oder politisiert.
Beide Kritiken sind nachvollziehbar. Die geschilderte erbrechtliche Frage klingt zunächst einmal einfach und daher könnte man denken, sie sei auch für eine KI geeignet. Auf den zweiten Blick klingt sie aber zu einfach. Fehlende Details in der Frage können daher zu unzutreffenden Antworten sowohl durch eine KI als auch durch einen Mufti oder eine Muftiya führen. Die Verantwortung für eine vollständige und zutreffende Frage bzw. für den Sachverhalt dazu liegt zunächst einmal beim Fragesteller oder der Fragestellerin. Das islamische Recht, insbesondere das Erbrecht, ist in der Tat komplex und so stellt sich die Frage, ob das eine KI fehlerfrei bewältigen kann. Fehler machen aber auch Menschen, von denen im Übrigen auch KI-Modelle programmiert wurden. Insofern kommt die religiöse Authentizität ins Spiel, denn Muftis werden religiös und rechtlich ausgebildet und sollen sich auch selbst an das halten, was sie antworten.
Eine eigene Überprüfung von KIs unter Eingabe der angegebenen kurzen Frage ergab einigermaßen differenzierte Antworten. Die Formulierungen waren vorsichtig. Es wurde angeregt, noch mehr Details zu der Fragestellung anzugeben bzw. sich an einen islamischen Rechtsgelehrten zu wenden. Einmal wurde rückgefragt, nach der Meinung welcher Rechtsschule die Antwort gegeben werden solle. Inhaltlich liefen die Antworten in der Tat auf eine Erlaubnis hinaus. Es wurde teilweise die Verteilung des Restes (Radd) thematisiert, denn bei rein weiblichen Erben ergeben die Erbteile keine 100 Prozent. Einmal wurde sogar ein einschlägiger Koranvers (Sure 4, 11) zitiert. Ob ein Vermächtnis möglich ist, wurde nicht thematisiert. Das lässt in der Tat den Schluss zu, dass KI-Modelle zu spontan live erteilten Fatwas qualitativ konkurrenzfähig sind. Im Vergleich zu anderen Fatwas ist die KI jedenfalls schneller.
Schlagworte: KI, Fatwawesen, Erbrecht, Radd, Azhar, Staatsmuftiamt, Ägypten
12.07.2025
AboutIslam: What to Do If Wife Is Not Interested in Sex?
Immer wieder sind Fatwas lebensberatend, insbesondere wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen geht. Der Fragesteller teilt unterschiedlich großes Interesse an Geschlechtsverkehr in seiner Ehe mit. Er fragt ausdrücklich, ob es einen Maßstab gibt, anhand dessen man feststellen kann, ob ein Partner zu fordernd ist oder der Andere zu wenig Begehren verspürt.
Der sunnitische Mufti stellt in seiner Antwort sogleich fest, dass es üblich sei, dass Frauen wenig Interesse an Geschlechtsverkehr hätten, und lässt damit sogleich die Chance einer differenzierten Antwort, die die Frage ermöglichte, liegen. Zutreffend ist sicher, dass man in einer Beziehung Geduld und Toleranz braucht, was er sodann benennt. Der Fragesteller solle den koranischen Ansatz zum Umgang mit widerspenstigen Frauen befolgen und sie zunächst beraten. Aber auch dieser Ansatz wird in der Antwort nicht weiterverfolgt. Der Mufti teilt nicht mit, wie dieser koranische Ansatz weitergeht, wenn Beratung nicht verfängt.
Stattdessen diagnostiziert er ein chronisches Problem, für dessen Lösung er dringend rät, medizinische bzw. psychologische Hilfe zu suchen, selbst wenn seine Ehefrau denke, dass nichts falsch sei. Bei Beziehungsproblemen psychologische Hilfe zu suchen, ist ja nicht grundsätzlich falsch, aber es bleibt vollkommen unklar, ob der Mufti hier eine Eheberatung meint oder eine Behandlung der Ehefrau. Insbesondere letzteres wird ohne ihre Zustimmung nicht gehen, und wenn die Antwort so gemeint ist, ist sie reichlich bevormundend. Dass sie so gemeint ist, wird aber noch dadurch unterstützt, dass der Mufti danach das Wort „Frigidität“ einführt. Immerhin nennt er als letzten Grund dafür noch Unzufriedenheit in der Ehe, was beide Partner in die Verbesserung ihrer Beziehung einbeziehen würde. Insgesamt bleibt aber der Eindruck, dass der Mufti sich schon von vorneherein festgelegt hatte, den Grund bei der Ehefrau zu suchen.
Schlagworte: Ehe, Geschlechtsverkehr, Geduld, Toleranz, Beratung, Koran, Medizin, Psychologie
05.07.2025
MEMRI: Anti-Trump Fatwa By Iranian Grand Ayatollahs: Any Person Or Regime Who Threatens The Leader Is The Enemy Of God And Islam And His Punishment Is Death
Zwei iranische Großayatollahs haben Fatwas erteilt, die sich gegen die Tötung des religiösen Führers (Rahbar) oder deren Ankündigung richten. Großayatollah Makarem Shirazi antwortete, dass jede Person, die den religiösen Führer mit dem Tode bedrohe oder angreife, jemand sei, der Krieg gegen Gott führe (Muharib). Man dürfe nicht mit ihm zusammenarbeiten. Alle Muslime seien verpflichtet, dafür zu sorgen, dass diese Menschen ihre Worte und Taten bereuen würden. Wenn sie dabei Härten oder Schäden erleiden würden, sei ihre Belohnung die Gleiche wie für jemanden, der im Dschihad kämpfe.
Großayatollah Hamedani antwortete, dass Schädigung oder Beleidigung von Großayatollah Khamenei, Schädigung der Grundlagen des Islam sei. Es sei eine religiöse Pflicht, Khamenei zu unterstützen. Auch er hält den Schädiger für einen Muharib. Beide Großayatollahs halten insofern auch andere religiöse Autoritäten für geschützt.
Die Strafe für Krieg gegen Gott (Muharaba) kann laut Koran u. a. die Tötung sein (Sure 5, 33). So ist es auch in Artikel 282 iranisches Strafgesetzbuch geregelt. In Artikel 283 steht allerdings, dass der Richter nach Ermessen über die Art der Strafe, also Todesstrafe, Körperstrafe oder Verbannung entscheidet. Die Auslassung der Erwähnung des Richters ist ein entscheidender Punkt. Im Zusammenhang mit der Behauptung, es sei eine religiöse Pflicht, Khamenei zu unterstützen bzw. dafür zu sorgen, dass diese angeblichen Rechtsverletzer ihre Worte und Taten bereuen würden, legt es Selbstjustiz nahe bzw. setzt dem eigenständigen Handeln jedenfalls keine Grenzen. Eine große, zu erwartende Belohnung setzt einen zusätzlichen Anreiz. Andererseits sind Fatwas im Unterschied zu Urteilen rechtlich nicht bindend. Es kommt hier also darauf an, wie die Anhänger dieser beiden Großayatollahs die Fatwas aufnehmen, oder auf welche andere Art und Weise die Fatwas noch Wirkung erzielen.
In beiden Fragen wurde nach dem amerikanischen Präsidenten und nach den „Köpfen des zionistischen Regimes“ gefragt. Mit Letzterem wird die israelische Regierung gemeint sein. Damit ist klar, dass die Fatwas im Zusammenhang mit den jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Iran und Israel bzw. den USA stehen. Mithin führt Iran den Krieg mit anderen Mitteln fort, nämlich mit Todesdrohungen in Form von Fatwas. Diese haben freilich ihren Anlass in öffentlichen Überlegungen Khamenei auszuschalten. Diese gegenseitigen Todesdrohungen führen gerade nicht zu einem Ausstieg aus der Spirale der (angedrohten) Gewalt.
Schlagworte: Strafrecht, Krieg gegen Gott, Todesstrafe, Körperstrafe, Verbannung, Pflicht, Belohnung, Richter, Präsident, USA, Israel, Khamenei, Iran